Dr. Jens Andersen erläutert im Gespräch mit Sascha Hackstein, weshalb Automobil- und Zulieferindustrie Strategien und Geschäftsmodelle überdenken müssen und weshalb es nicht reicht, auf E-Mobility zu setzen.
Sascha Hackstein: Warum sollten die Unternehmen der Automobilindustrie ihre Strategien überdenken? Wodurch werden die aktuellen Geschäftsmodelle von OEMs und Zulieferern bedroht?
Dr. Jens Andersen: Für etablierte Fahrzeughersteller, die das Thema Elektromobilität aufgrund unbefriedigender Ergebniskennziffern eher defensiv angegangen sind, zum Beispiel der FCA-Konzern, sehe ich mit der aktuellen Konstellation keine Zukunftsperspektive. Milliardenausgaben für den Kauf von CO2-Zertifikaten wie bei Tesla sind der Anfang vom Ende der Unabhängigkeit, wenn nicht der Existenz, denn diese Mittel fehlen für neue Produkte und Technologien. Vom Umbau der Wertschöpfungen bei den OEMs ist zudem die Zulieferindustrie unmittelbar betroffen. Die Geschäftsmodelle für die Komponenten der „klassischen“ Mobilität erodieren aufgrund der CO2-Gesetzgebungen zwangsläufig. Die Zulieferindustrie muss sich den veränderten Schwerpunkten mit neuen Geschäftsfeldern, neuen zukunftsfähigen Produkten und gegebenenfalls über eine Diversifikation in Richtung Digitalisierung und Nachhaltigkeit mit hoher Geschwindigkeit anpassen. Definitiv darf sie dabei nicht auf ein einziges Pferd setzen, auch wenn manche Batterie-Elektromobilitätsprediger dies gebetsmühlenartig fordern. Wir sehen ja gerade bei Tesla und etlichen ähnlichen Unternehmen mit hochfliegenden BEV-Plänen, wie dort das Geld verbrannt wird. Das schlägt dann auch voll bei den Zulieferern durch.
Neue Geschäftsmodelle und Produktstrategien erfordern nicht nur Kreativität und Kalkül, sondern auch Organisationen und Prozesse. Hierbei sollte man sich unbedingt mit neutraler, unbelasteter Kompetenz von außen unterstützen lassen.
Sascha Hackstein: Welche Trends sehen Sie künftig für die Entwicklung der Mobilität, welche Rolle wird dabei das Auto spielen und welche Chancen ergeben sich für die etablierten Unternehmen?
Dr. Jens Andersen: Mobilität wird nachhaltig und vernetzt werden, intelligent in gewissem Maße. In urbanen Regionen werden sich zudem die Anteile der Verkehrsträger verschieben, ein Stück weit weg vom Auto, egal wie der Antrieb technisch aussieht. Dies ist aus meiner Sicht neben der klimaneutralen Mobilität ein zweiter Megatrend in Ballungsräumen weltweit, der aktuell nur am Rande erwähnt wird. Die Menschen wollen ihre Städte zurück und sie nicht mehr der Blechlawine opfern. Und mehr als die Hälfte der Menschheit lebt bereits heute in Städten. Auf grenzenloses Wachstum bei der Individualmobilität sollten etablierte Unternehmen demzufolge nicht setzen, sondern schauen, wie die Wachstumsprognosen für andere Verkehrsträger aussehen. Und wie zuvor erwähnt, sind klimaschonende Energieträger für die Mobilität von morgen ein Wachstumsmarkt. Nicht nur Wind- und Solarstrom, sondern auch Wasserstoff oder regenerativ erzeugte E-Fuels werden nachgefragt werden. Letztere vor allem für den Schwerlastverkehr.
Sascha Hackstein: Die Fixierung auf die E-Mobility ist international nicht gegeben. Unterschiedliche Länder setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Welche Rolle spielt die Globalisierung bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für die deutschen Firmen?
Dr. Jens Andersen: Das ist eine wirklich entscheidende Frage. Gerade die deutsche Automobil- und auch Zulieferindustrie ist weltweit unternehmerisch präsent. Dadurch hat sie auch die Notwendigkeit, sich lokalen Spezifika anzupassen, was sie bislang auch bei etablierten Technologien erfolgreich getan hat. Die nationalen oder auch regionalen Zielsetzungen hinsichtlich Umweltschutz, nachhaltiger Energieversorgung sowie Industriepolitik unterscheiden sich erheblich voneinander. Beispiel: Während für Europa Elektromobilität als Ultima Ratio gesehen wird – eine Ansicht, die ich im Übrigen nicht teile –, sieht das in Japan oder Korea anders aus. Dort wird intensiv und mit staatlicher Unterstützung an der Wasserstoffmobilität gearbeitet und diese für den Massenmarkt vorbereitet – übrigens mittlerweile auch in China, das seine BEV-Subventionen bis 2020 abbaut. Ähnliches bezüglich Wasserstoffmobilität passiert auch in den USA mit der Firma Nikola, speziell für den Schwerlastverkehr. Einen Wachstumsmarkt der Zukunft stellt Indien dar. Dort wird wiederum das Thema CNG-Mobilität als die wirtschaftlichste Maßnahme zur CO2-Reduzierung im Verkehrssektor vorangetrieben, was absolut nachvollziehbar ist. Brasilien andererseits ist mit Ethanol aus eigener Herstellung komplett anders unterwegs. Auf diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen müssen sich deutsche Unternehmen der Automobilindustrie einstellen und sowohl Strategien als auch Organisationen und Prozesse entsprechend anpassen – und das alles unter der Prämisse maximaler Synergienutzung zwischen den Märkten. Das ist anspruchsvoll, aber absolut machbar.
Sascha Hackstein: Seit einiger Zeit kann man beobachten, dass Zulieferer fusionieren, kooperieren oder Software-Firmen zukaufen. Inwiefern können etablierte Unternehmen durch Kooperationen mit Wettbewerbern oder Start-ups, oder auch durch Zukäufe gewinnen?
Dr. Jens Andersen: Bei Kooperationen oder Fusionen geht es entweder darum, maximale Skaleneffekte und darüber Wettbewerbsvorteile zu generieren, oder aber Märkte und Produktportfolien mit wenigen oder keinen Überlappungen zu kombinieren und darüber Marktzugänge zu ermöglichen. Vor allem bei Komponenten, die für den Kunden nicht sichtbar und für das Produkt nicht charakterbildend sind, lassen sich Skaleneffekte durch die gemeinsame Nutzung erzielen. Das können sowohl Hardware- als auch Softwarekomponenten sein. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, einmal anvisierte Synergiepotentiale im Zuge einer Fusion oder Kooperation auch tatsächlich zu heben. Was in der Due Diligence noch einfach zu heben schien, kann in der praktischen Umsetzung Probleme bereiten, die es zu lösen gilt.
Der Zukauf kleinerer Firmen hat im Zuge der Digitalisierung viel an Dynamik gewonnen. Anscheinend kaufen die großen Zulieferer aktuell zum Beispiel gezielt im Softwarebereich hinzu. Die gesamte Car2Car-Communication und Vernetzung mit der externen Infrastruktur und alles darum herum erfordert viel Software-Know-How, das die etablierten Firmen zumeist nicht besitzen. Mit Hilfe von globalen Scouting-Aktivitäten werden interessante Start-ups oder bereits etablierte, kleinere Unternehmen von großen Konzernen mit Nachholbedarf zumeist bei Themen der Digitalisierung gefunden und aufgekauft. Auch bei solchen Scouting-Aktivitäten und deren Analyse nehmen kleinere Unternehmen externe Unterstützung in Anspruch, um schnell und effektiv Lösungen zu finden.